“Mindset kommt da an Grenzen, wo Emotionen übernehmen”

Warum das kein Esoterik-Geschwafel ist, sondern eine wissenschaftlich fundierte Aussage, erfahrt ihr im folgenden Beitrag.

Wir dürfen zwischen zwei Dingen unterscheiden: der mentalen Blockade und der emotionalen Blockade. Die mentale Blockade bezeichne ich gerne auch als „Brezel im Kopf“, die wir durch Mindset-Arbeit durchaus lösen können. Das geht z.B. durch einen anderen Fokus, Perspektivenerweiterung, positives Kopfkino, Selbstreflektion oder dadurch, dass wir uns bisher unbewusste (nicht emotional verankerte) Glaubenssätze bewusst machen. Der ganze Kladderadatsch, den ihr kennt, wenn ihr euch schon etwas mit Persönlichkeitsentwicklung beschäftigt habt. Affirmationen werden hier auch gerne genutzt – da gibt es jedoch ein paar Dinge zu beachten, zu denen ich später noch komme.

Emotionale Blockaden sind eine ganz andere Hausnummer. Wir können unsere Emotionen nicht mit rationalen Argumenten wegdiskutieren. Ob wir es logisch, passend oder nachvollziehbar finden, wie wir uns gerade fühlen, ist unseren Emotionen schnurzpiepegal. Emotionen haben einen ganz klaren Arbeitsauftrag: Sie wollen uns zum Handeln bewegen und arbeiten immer für uns:

Das, was uns im Leben wichtig ist, sind unsere “Motive”. Sie sind gleichzeitig Motor und Kompass unseres Handelns. Indem sie Emotionen aktivieren, stellen unsere Motive die Energie hinter unserem Verhalten zur Verfügung und sorgen so dafür, dass die unbewussten Handlungsprogramme gestartet werden, um das dahinterliegende Bedürfnis oder Motiv zu erfüllen.

 

Was passiert da eigentlich im Gehirn?

Lass uns hierzu gerne mal einen kleinen Exkurs in den Aufbau des Gehirns machen: das 4-Ebenen-Modell eignet sich hierfür prima, denn es zeigt eine strukturell-funktionelle Ebenenordnung und keine anatomische – was es für uns „Normalsterbliche“ einfacher macht, die Zusammenhänge zu verstehen.

Das 4-Ebenen-Modell geht zurück auf den deutschen Gehirnforscher Gerhard Roth und wurde von Dr. Dr. Damir DelMonte (Neurowissenschaftler und Psychologe) und Patrick Bohr verfeinert.

 

Das 4-Ebenen-Modell

  • 3 limbische Ebenen, 1 obere (neocorticale = in der Großhirnrinde liegend) Ebene

  • das limbische System: Bereich der unbewussten Entstehung & Verarbeitung von Emotionen

Die mittlere und untere limbische Ebene:

  • Kern des limbischen Systems

  • unbewusste Handlungsprogramme, die unser Überleben sichern, aber auch kreative Entwicklung und Wachstum fördern

  • Veränderung ist hier nicht mehr durch Einsicht möglich, sondern nur durch eine emotionale Erfahrung -> genau das ist der Knackpunkt!

 

Lasst uns das mal im Detail anschauen:

Das 4-Ebenen-Modell (©DelMonte & Bohr, nach Roth, et al)

Auf der unteren limbischen Ebene ist unser genetisches Fundament, was epigenetisch vorgeburtlich und frühnachgeburtlich etabliert wird. Daher ist es durch Erfahrung, Erziehung oder willentliche Kontrolle nur wenig beeinflussbar. Da wir in diesem Modell eine funktionelle Einordnung haben, ist nicht nur der Hirnstamm, sondern auch die zentrale Amygdala (Teil des Großhirns) und der Hypothalamus (Zwischenhirn) Teil der ULE.

Auf der mittleren limbischen Ebene ist unser emotionales Erfahrungsgedächtnis zuhause, was unsere Persönlichkeit sehr stark prägt und darüber entscheidet, was wir tun (über unsere Motive). Emotional verankerte Glaubenssätze sind Teil unserer Prägung und daher auch hier verortet.

Wir werden angetrieben von Motiven, die sich unserer bewussten Kontrolle enziehen.
— Sigmund Freud

Die obere limbische Ebene ist Teil der Großhirnrinde und befindet sich auf der Innenseite des Gehirns. Sie ist daher von außen nicht sichtbar. Hier ist das feine, differenzierte Gespür für uns selbst verortet („das Empfinden unserer Innerlichkeit“, was in der Evolution eher neu ist). Hier sind Emotionen mit sehr stark sozialen Komponenten verankert, die wir z.B. bei Ausgrenzung spüren.

Die sprachlich-kognitive Ebene wird auch Neocortex genannt. Ein großer Teil davon ist der dorsolaterale präfrontale Kortex, der sich im Frontallappen befindet. Er ist unser intelligenter, stets sachlicher Berater, der uns solche Fragen stellt wie: „Wenn du x tust, hat das die Folgen z. Möchtest du das?“
Die eigentliche Entscheidung fällt dann aber im limbischen System!

 

“Die Ursache einer emotionalen Blockade liegt stets im gestörten Dialog zwischen frontoparietalem Netzwerk und limbischem System.”

 

Wenn wir also „getriggert“ werden, passiert das auf der mittleren limbischen Ebene, da dort unser emotionales Erfahrungsgedächtnis beheimatet ist. Der Trigger ist, vereinfacht gesagt, eine sehr schmerzhafte emotionale Erfahrung, die wir als so schlimm empfunden haben, dass wir sie abgespeichert haben - mit dem Zweck, uns in Zukunft vor so einer Situation zu schützen. Wenn wir uns später in einer Situation ähnlich fühlen, wird genau diese Schublade wieder aufgemacht und die dazugehörige Stressreaktion (Kampf, Flucht, Erstarren) auf der unteren limbischen Ebene gestartet. Wenn du also feststellst, dass deine Reaktion auf einen bestimmten Reiz im Außen aus rationaler Sicht „übertrieben“ ist, passiert genau das hier Dargestellte. Beide dieser Ebenen arbeiten übrigens noch unbewusst!

Bei einer gesunden Stress- und Emotionskompetenz sind die obere limbische Ebene und auch die sprachlich-kognitive Ebene aktiviert und können so regulierend eingreifen, bevor wir „an die Decke gehen“ und die Amygdala (unser Emotionszentrum) unseren präfrontalen Kortex (als Teil des Steuerungsnetzwerks) kidnappt. Dieses Phänomen kennst du vielleicht als „Amygdala-Hijack“. Die Emotion korrekt zu benennen hilft z.B., da das das Steuerungsnetzwerk aktiviert. Wenn wir die Emotion in unserem Körper als “Gefühl” verorten können und es beschreiben, läuft das ebenfalls über das Steuerungsnetzwerk. Da das Steuerungsnetzwerk und das Stressnetzwerk um Ressourcen konkurrieren, sorgt ein aktiviertes Steuerungsnetzwerk automatisch für eine Regulierung des Stressnetzwerks (durch unsere “bifokale Achtsamkeit”).

 

FAZIT: Was kann Emotionscoaching, wo Mindset-Coaching an seine Grenzen kommt?

 

“Ich möchte mit negativen Emotionen besser umgehen können.”, “Wie kann ich belastende Erfahrungen verarbeiten?” oder “Wie schaffe ich es, dass bestimmte Dinge mich nicht mehr so belasten?”

 

Aussagen bzw. Fragen wie diese höre ich von meinen Kunden regelmäßig. Im Emotionscoaching können wir u.a. an den Triggern arbeiten und neue, emotionale Erfahrungen machen, sodass wir eine andere (für uns dienlichere) Reaktion zeigen können. Unser Gehirn benötigt mind. 3-5 Wiederholungen, um ein Muster zu erkennen und das Gelernte somit zu vertiefen bzw. zu verankern. Daher ist die Erwartungshaltung, dass tiefsitzende emotionale Themen mit nur einer oder zwei Coaching-Sessions nachhaltig erledigt sind, nicht sehr realistisch.

Die neuen emotionalen Erfahrungen sorgen für Verhaltensänderungen (und natürlich ein geringeres Stressempfinden). Wir trainieren außerdem die Regulationskompetenzen und sorgen so dafür, dass du im Alltag mit belastenden Emotionen viel besser umgehen kannst – auch ohne Coach an deiner Seite.

Dr. Dr. Damir DelMonte hat einen tollen Youtube-Kanal: „Hirnwelten“ – schau da gerne mal vorbei, wenn dich das Thema interessiert und du noch mehr wissen möchtest.

 

Affirmationen – da war ja noch was!

Warum sind Affirmationen kein Allerheilmittel und u. U. mit Vorsicht zu genießen? Es kommt immer darauf an, wo du im Moment genau stehst (gefühlt) und welche Aussage in der Affirmation steckt. Wenn die emotionale Distanz dazwischen noch zu groß ist, kann das für noch mehr negativen Stress sorgen. Es ist wichtig, dass die Kernaussage der Affirmation schon glaubwürdig für dich ist und du emotional daran „andocken“ kannst. Wenn du emotional noch zu weit weg bist, rate ich grundsätzlich zur Vorsicht.

 

Für die Detailfreunde unter euch hier noch die detaillierte Einordnung der Gehirnbestandteile nach dem 4-Ebenen-Modell:

ULE:
Hirnstamm (steuert lebenswichtige Körperfunktionen), Hypothalamus (Homöostase, Schaltstelle zwischen Gehirn und Hormonsystem), zentrale Amygdala (arbeitet bei starken Emotionen stark mit dem Hypothalamus zusammen)

MLE:
Hippocampus (Erlebnis- und Wissensgedächtnis), basolaterale Amygdala (emotionales Gedächtnis), Basalganglien (Bewegungs-, Sprach- Denk- und Gefühlsgewohnheiten), Thalamus (das Tor zum Bewusstsein: Sinnesschaltzentrale), Nucleus Accumbens (Belohnungssystem, emotionale Konditionierung)

OLE:
anteriorer cingulärer Cortex (ACC): u.a. Integration kognitiver & limbischer Informationen; ventromedialer präfrontaler Cortex (vmPFC): u.a. Emotions- & Stressregulation und Impulskontrolle; orbitofrontaler Cortex (OFC): u.a. emotionale & motivationale Verhaltensplanung, Risikoeinschätzung und Impulskontrolle; Insula: u.a. Wahrnehmung innerer Prozesse

Neocortex:
Parietallappen (Scheitellappen): Empfindungen, Okzipitallappen: Verarbeitung visueller Reize, Temporallappen (Schläfenlappen): u.a. Hören, Frontallappen (Schädellappen): allgemeine Intelligenz & Arbeitsgedächtnis.

 

Viel Spaß auf deiner Gehirn-Safari! :)

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Was unsere innere Stimme mit unserem Stress zu tun hat